Interview

Interview mit Sandra M. Heinzelmann

Musicalgeschichten: Bei dem Stück "Rappacinis Tochter" ist es neben der Musik auch die gelungene Ausgestaltung der Spielszenen, die das Musical zu einem schillernden Musiktheaterabend macht. Es gibt nur vier Hauptfiguren. Die agieren aber sehr emotional. Was war die größte Herausforderung für Sie als Regisseurin?

Sandra M. Heinzelmann: Zunächst war die Herausforderung, sich wieder vom Stück zu lösen. Wenn man so tief und lange im Prozess des Schreibens involviert ist, muss man sich einen frischen Zugang zum Stück verschaffen, um es mit dem Ensemble auf die Bühne zu bringen. Ich habe das Stück eine Weile liegen lassen müssen, um den Regie-Blick darauf werfen zu können und zusammen mit den Darstellenden an die Figuren herangehen zu können. Die Herausforderung war nicht nur, einen praktikablen Probenplan zu erstellen - da wir nicht wie gewöhnliche Produktionen drei bis sechs Wochen am Stück proben konnten - sondern auch, mit allen einen geeigneten Zugang zur Bühnenfigur zu finden.

Musicalgeschichten: Wie haben Sie als Regisseurin sich den Figuren genähert? Hatten Sie gegebenenfalls prominente Vorbilder für die Figuren im Kopf?

Sandra M. Heinzelmann: Nein, prominente Vorbilder hatte ich nicht. Vielleicht haben sich meine Darsteller heimlich Prominente Vorbilder angeschaut, aber ich halte nichts davon, jemanden etwas nachspielen zu lassen. Sicher, uns sind schon Vergleiche mit anderen Stücken zu Ohren gekommen, aber ich habe es bewusst vermieden, ähnliche Stücke oder Filme anzusehen.Ich habe mich den Figuren wieder genähert, indem ich mir Fragen gestellt habe, viele Fragen, um die Motivationen der Figuren zu finden und den Menschen dahinter freizulegen. Mein Ensemble hat sehr sehr unterschiedliche Erfahrungen bzgl. Gesang und Schauspiel, deswegen war es mir wichtig, individuell zu arbeiten, so dass jeder seinen Charakter verstehen und nachfühlen kann. Z.B. braucht jede der Beatrice Darstellerinnen für Schlüsselszenen eine andere Motivation, damit sie die Emotionen aus sich heraus schöpfen kann. Dann kann auch das Publikum Zugang zu den Charakteren auf der Bühne finden und sich berühren lassen.

Musicalgeschichten: Im Stück stehen tiefe Liebe und großer Hass sich gegenüber. Wie lassen Sie bei den Figuren diese Gefühle so überzeugend entstehen?

Sandra M. Heinzelmann: Im Prinzip durch Handwerk - die klassische Textanalyse nach Stanislawsky oder das emotionale Gedächtnis nach Strasberg, das funktioniert für Musiktheater genau so gut wie für das Schauspiel,wenn man den musikalischen Text nicht vernachlässigt - Zeit, Hartnäckigkeit, Geduld und nicht zuletzt sehr viel Herzblut.

Musicalgeschichten: Die große Liebe zwischen Giovanni und Beatrice ist behaftet mit einem Problem, das beide kaum überwinden können. Würden Sie sagen, dass man als Regisseurin "Rappacinis Tochter" im Kern wie eine normale Romanze behandeln kann oder sogar muss?

Sandra M. Heinzelmann: Ja,auf jeden Fall. Es war mir wichtig, die Liebe zwischen den beiden ernst zu nehmen und in keiner Form zu abstrahieren. Trotz all der merkwürdigen Umstände - oder sollte ich lieber monströsen Zustände sagen? - ist Beatrice doch ein Mensch mit Träumen und Gefühlen.

Musicalgeschichten: Sie lassen die beiden großen Kontrahenten am Ende mit einer Niederlage auf beiden Seiten mit sich alleine. Ist die Szene vielleicht deshalb fast gespenstisch, weil sich beide in ihrer gleichen Lage auch nahe sind?

Sandra M. Heinzelmann: Genau das ist der Punkt. Schön, dass es so angekommen ist. Als Regisseurin wollte ich nicht über Rappacini oder Baglioni urteilen, sondern das im Kopfe des Betrachtenden lassen. So gegensätzlich die beiden Männer auf den ersten Blick scheinen mögen, so spannend ist es auch, ihre Nähe erkennen zu können und sich zu fragen, warum das wiederum gespenstisch ist.

Ein neues Interview ist schon geplant!



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